Cannabisarzneimittel bei psychischen Störungen mit chronischem Schmerz

2024-11-25
Detail-Ansicht von Canabis-Pflanzen

Cannabisarzneimittel besserten bei über 75 % der Patienten mit psychiatrischen Indikationen eine chronische Schmerzsymptomatik. Dieses Ergebnis erbrachte eine umfassende Datenerhebung des BfArM* bei Ärztinnen und Ärzten, die Cannabisarzneimittel im Zeitraum von März 2017 bis Dezember 2021 verordneten.

Insgesamt wurden 16.809 Datensätze ausgewertet. Die Begleiterhebung erfasste 5.582 Fälle mit psychiatrischer Diagnose. Mit 4.208 war die chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren (ICD-10-GM: F45.51) die häufigste Indikation. Über die Hälfte der Patienten wurden mit Dronabinol (57,4 %) behandelt, gefolgt von Cannabisblüten (18,7 %), Nabiximols (14,5 %), Cannabis-Extrakte (9,3 %) und Nabilon (0,1%). Bei allen psychiatrischen Diagnosen wurde die Therapie im Mittel nach einer mehr als zehnjährigen Erkrankungsdauer begonnen. In den meisten psychiatrischen Indikationen war bei einem Durchschnittalter von etwa 55 Jahren der Frauenanteil mit 54 % etwas höher als derjenige der Männer. Die Behandlung bei den Diagnosen hyperkinetische Störungen (ICD-10: F90), inklusive Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitäts-Störung (ADHS) und Tic-Störungen (F95) erfolgte mit nahezu 90 % fast ausschließlich bei jungen Männern in der 2. und 3. Lebensdekade.

Bei den erfassten psychiatrischen Indikationen gaben die Behandler in mindestens 75 % der Fälle eine Verbesserung der Schmerzsymptomatik an. Bei hyperkinetischen Störungen stuften die Ärztinnen und Ärzte sogar 95 % der Fälle als gebessert, 80 % als deutlich gebessert ein. Ebenfalls deutliche Verbesserungen ergaben sich für Tic-Störungen (88 %), Störungen nach schwerer Belastung (90 %) und Persönlichkeitsstörungen (88 %). Auch die Lebensqualität schätzten sie über alle Diagnosegruppen bei mindestens 70 % der Fälle als moderat oder deutlich gebessert ein. Verschlechterungen wurden kaum berichtet. 

Die Abbruchraten betrugen im ersten Behandlungsjahr bei Diagnose andauernde Persönlichkeitsveränderungen 31,6 %, bei somatoformen Störungen 28,6 % und bei ADHS 8,9 %. Die häufigsten Gründe für ein Absetzen waren eine nicht ausreichende Wirksamkeit sowie Nebenwirkungen. Die häufigsten Nebenwirkungen für Fälle mit primärer psychiatrischer Diagnose waren Müdigkeit (17,0 %), Schwindel (11,1 %) und Schläfrigkeit (7,3 %), gefolgt von Mundtrockenheit (6,4 %), sowie Übelkeit und Aufmerksamkeitsstörungen (jeweils 4,8 %). Psychiatrisch besonders relevante Nebenwirkungen wie Suizidgedanken und Wahnvorstellungen wurden mit einer Häufigkeit von 0,2 und 0,6 % genannt.

Die Autoren sehen insgesamt eine zurückhaltende Anwendung von Cannabisarzneimitteln bei psychiatrischer Indikation; möglicherweise bedingt durch eine zurückhaltende Indikationsstellung und eine restriktive Genehmigungspraxis bei den Krankenkassen. In Übereinstimmung mit Leitlinienempfehlungen sollten zum gegenwärtigen Zeitpunkt evidenzbasierte psychotherapeutische und pharmakologische Therapien ausgeschöpft werden, bevor in ausgewählten Einzelfällen die Verordnung von Cannabisarzneimitteln in Erwägung gezogen wird. Eine Fortführung der Versorgungsforschung wird empfohlen.

*Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte.

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